Lernfähriger Bundesrat
Im Gastbeitrag von anfangs Mai in dieser Zeitung bin ich zum Schluss gekommen, dass angesichts der grossen Probleme bei der Einführung des E-Votings wohl nur noch eine Volksinitiative den blinden Eifer des Bundesrates bei diesem Projekt bremsen könne. Letzte Woche hat nun aber auch beim Bundesrat unerwarteterweise der Wind gedreht und er will – zumindest vorderhand – auf die Einführung des E-Votings als dritten Abstimmungskanal verzichten.

Bei allem Verständnis für eine rasche und umfassende Umsetzung der Digitalisierung in der ganzen Bundesverwaltung musste der Bundesrat doch angesichts der grossen praktischen Probleme und damit ungerne zur Kenntnis nehmen, dass derzeit die Voraussetzungen für eine breite Einführung des E-Votings in keiner Weise erfüllt sind. Mit konstruktiver Kritik vor allem seitens der SVP aber auch mit zahlreichen Vorstössen im Parlament wurde der Bundesrat immer wieder auf die fehlende Einführungsreife und die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber der Digitalisierung hingewiesen. Es schien jedoch, dass der Bundesrat nichts von seinem blinden Glauben an den Segen der Digitalisierung im Bereich der politischen Rechte abbringen konnte. Erst peinliche Pannen, verschiedene gravierende Sicherheitsprobleme, zunehmende Cyberattaken sowie ungewisse Finanzierungsperspektiven führten beim Bundesrat schliesslich zur Einsicht, dass angesichts der aufgetretenen Probleme ein Marschhalt wohl sinnvoller als ein weiteres kostspieliges EDV-Debakel ist. Ganz offensichtlich hat der Bundesrat aus den fatalen Folgen anderer EDV-Projekte in der Bundesverwaltung etwas gelernt. Mit etwas mehr Realitätssinn und weniger Euphorie gegenüber neuen Technologien hätte der Bundesrat allerdings schon viel früher zu dieser Einsicht kommen müssen. Aber der SVP gibt man eben nicht gerne recht – schon gar nicht in einem Wahljahr.
Heinz Brand, Klosters
Nationalrat SVP